Zur Problematik des Begriffes #Mehrwert

Beide Artikel zum KidZ Sammelband sind sehr grundlegender Art.

Jetzt eingereicht:

#1 Das Digitale in der Schule. Mehrwert oder ein Wert an sich?

Nach einer kurzen Darstellung von 6 Legimationsansätzen zum Digitalen in der Schule gehe ich auf die Frage ein, ob es sich nicht doch um etwas anderes handelt als einen „Mehrwert“.

Mit diesem Abschnitt 3 des Artikels bin ich noch nicht zufrieden, bei nächste Gelegenheit werde ich ihn weiter überarbeiten. Feedback willkommen!

3       Was bedeutet das für die Schule?

Wenn das Methodenvielfaltsargument zur Maxime des Handelns erhoben wird, so folgt daraus, dass die Nutzung von Medien als Querschnittsthema alle Fächer betrifft. Daraus folgt die oft sehr mechanistische Sichtweise, dass ein vorhandenes Werkzeug durch ein digitales Werkzeug ersetzt wird (Tafel – IWB, Heft – Notebook, …). Diese Sichtweise wird weder den Möglichkeiten der digitalen Medien gerecht, noch zeugt sie von einem zeitgemäßen Medienbildungsverständnis.

Zu dem Thema des Medieneinsatzes im Unterricht zur Erhöhung der Methodenvielfalt besteht nach Moser ein Unbehagen, weil zuerst neue Gadgets vorgestellt werden und erst anschließend nach Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht gesucht wird und nicht – ausgehend von einem didaktischen Problem – versucht wird, dieses mit digitalen Medien zu lösen (Moser, 2008, S. 17). Die Aussage, dass zuerst an die Didaktik gedacht werden sollte und anschließend die Technik geplant werden kann, genießt breite Akzeptanz in der Lehrendenbildung. Wie verbreitet diese monistische Sichtweise ist, zeigt diese Zusammenfassung einer Tagung: „Alle Teilnehmer der Tagung waren sich einig, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf. Die Entwicklung muss vom pädagogisch Sinnvollen, nicht vom technisch Machbaren bestimmt werden“ (Ebel, 2013).

Das Digitale ermöglicht aber auch völlig andere didaktische Zugänge, die bisher nicht denkbar waren. Postuliert man konsequent das Primat der Didaktik, hebt man nicht das Potenzial des neuen Leitmediums. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Umkerhrung uneingeschränkt richtig wäre. Ich denke außerdem nicht, dass viele mit der Aussage „zuerst die Didaktik, dann die Technik“ immer diese strikte Rangfolge meinen, sondern eher im Zweifelsfall der Didaktik den Vorzug geben würden.

Axel Krommer stellt dem Slogan „Didaktik geht vor Methodik“ eine Analogie gegenüber:

„Gesetzt den Fall, man plane statt einer Unterrichtsstunde eine Reise. Auch hier hat es den Anschein, als könne man zunächst das Ziel festlegen und müsse erst in einem zweiten Schritt darüber nachdenken, mit welchem Transportmittel sich dieses Ziel am bequemsten und schnellsten erreichen lässt. Doch dieses vermeintliche Primat des Reiseziels gegenüber dem Transportmittel ist das Resultat einer stark eingeengten Perspektive. Denn welche Ziele realistischerweise in den Blick genommen werden, hängt in entscheidendem Maße von den verfügbaren Transportmitteln ab. Um es an einem Alltagsbeispiel zu erläutern: Wer in einer Gesellschaft lebt, in der die Postkutsche das  schnellste Verkehrsmittel darstellt, kommt gar nicht auf die Idee, zum Einkaufen von Nürnberg nach München zu fahren, während dieses Reiseziel für einen Bahnfahrer mit dem ICE durchaus in Reichweite liegt“ (Krommer, 2015, S. 41).

Anders formuliert: die Möglichkeiten, die sich für den Utnerricht durch den Buchdruck ergeben, wären nie gehoben worden, wenn man weiterhin im Rahmen der Möglichkeiten einer skriptographischen Kultur agiert hätte.

Die Legitimation digitaler Medien auf Basis der Methodenvielfalt zielt sehr stark auf die Integration digitaler Medien in den Unterricht aller Fächer.

Wie sieht es mit der Wechselwirkung zwischen der Nutzung digitaler Medien und dem lerntheoretischen Setting des Unterrichts aus? Dieses Argument beruht auf der Prämisse, dass die Forderung nach zeitgemäßem Lernen deckungsgleich ist mit einer konstruktivistischen und/oder konnektivistischen Sichtweise. Köhler et al. stellen, bezugnehmend auf Kerres und de Witt – in Zusammenhang mit computergestütztem Unterricht – die Möglichkeit einer Alternative durch pädagogischen Pragmatismus dar, welcher keine der Lerntheorien per se ausschließt (Köhler, Kahnwald & Reitmaier, 2008, S. 486). Kerres und de Witt bringen Pragmatismus mit Medienbildung in Zusammenhang: das bedeutet aber auch, dass, wenn man Lernen, wie es in der Schule funktioniert, als Modellgrundlage verwendet, man sich nicht auf eine Lerntheorie beschränken kann. Ich vertrete also eine vermittelnd-pragmatische Position, welche unter anderem auch von Papert und Döring eingenommen wird (Döring, 2000; Frindte et al., 2001, S. 124; Papert, 1996, 1998).  Versucht man digitale Medien zu nutzen um in deren Wechselwirkung auch die Didaktik zu beeinflussen, die oftmals erwähnte Änderung der Lernkultur so folgt auch daraus wie bei der vorgenannten Legitimation eine möglichst umfassende Integration digitaler Medien in den Unterricht der Fächer: „Die Integration von ICT beinhaltet das Potenzial, Entwicklungsprozesse in Richtung einer neuen Lernkultur in der Volksschule zu initiieren und zu unterstützen“ (Biffi, Büeler, Fraefel, Ingold & Merz-Abt, 2006, S. 16).

Der medienerzieherische Aspekt hat zentrale Bedeutung, wenn man dem Lebensweltargument folgt. Kinder nützen täglich digitale Medien, das allein ist kein Grund, diese auch in der Schule einzusetzen. Mit der Verwendung digitaler Medien stehen aber auch Möglichkeiten und Gefahren in Zusammenhang, die erkannt werden sollten. Schule als Bildungsinstitution für alle Kinder kommt hier eine hervorragende Rolle zu. Aus dem Lebensweltargument folgt aber auch die Forderung nach informatischer Bildung in der Schule. Nur durch ein Verständnis der grundlegenden informatischen Konzepte gelingt eine souveräne Nutzung digitaler Medien.

Hier besteht ein enger Zusammenhang zum Arbeitsweltargument. Informatische Bildung ist Grundlage für den Erfolg in einer Arbeitswelt, die durch digitale Medien bestimmt ist. Das stellt auch die Schulbildung vor neue Herausforderungen, Faktenwissen ist heute sehr vergänglich, andere Kompetenzen werden von den Schulabgängern und Schulabgängerinnen verlangt. Anwendungswissen ist zu ergänzen durch Konzeptwissen. Das Konzeptwissen der praktischen Informatik umfasst das algorithmische Denken, Datenstrukturen, Programmieren und Softwaretechnik (Humbert, 2006, S. 10). In Bezugnahme auf die Lebenswelt und Arbeitswelt kann nicht von einem Mehrwert digitaler Medien im Unterricht gesprochen werden, dabei handelt es sich um einen Wert an sich, der auch ein garantiertes Zeitgefäß in der Unterrichtsorganisation benötigt. Die Frage nach dem Mehrwert digitaler Medien im Unterricht ist in diesem Zusammenhang irreführend.

Das Reflexionsargument stellt einen völlig anderen Bezug zum Einsatz digitaler Medien in der Schule dar. Bei diesem Ansatz wird so deutlich wie keinem anderen, dass die Digitalisierung unser Leben an sich sehr stark verändert hat und weiter verändern wird. Deutlich wird das auch im Kompetenzkatalog für Lehrende im Block B: „Digital Leben“ (Brandhofer, Kohl, Miglbauer & Narosy, 2016, S. 7). In diesem Zusammenhang von einem Mehrwert in der Schule zu sprechen ist sinnwidrig.

Wenn vom Mehrwert digitaler Medien gesprochen wird, so erfolgt die Interpretation zumeist Richtung Lernerfolg, dieser hat wie beschrieben nur beschränkte Gültigkeit. Digitale Medien führen nicht per se zu besseren Lernergebnissen, sie tragen in sich einen Aufforderungscharakter zu einer Adaption der Lernkultur – aber nicht mehr. Der Autopilot Richtung neuer Lernkultur sind sie nicht. Sie haben aber das Potenzial, dass Unterricht aus mediendidaktischer Sicht anders gestaltet wird. Andere Unterrichtsziele als nur der Lernerfolg können hiervon profitieren: die Fähigkeiten zusammenzuarbeiten, die Entwicklung von Problemlösestrategien, die Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung und die Kompetenz des Selbstlernens. In diesem Fall kann tatsächlich von einem Mehrwert gesprochen werden, besser aber: einem neben dem bisher gekannten stehenden Wert.

Die Zusammenfassung der Ausführungen zeigt, dass Sancta Simplicitas uns nicht erhört, die Mehrwertmetapher ist anwendbar, wenn man berücksichtigt, dass sie sich nicht nur auf den Lernerfolg bezieht. In Bezug auf Lebens- und Arbeitswelt stellt die Auseinandersetzung mit dem Digitalen an der Schule einen Wert an sich dar, in Bezug auf Methodenvielfalt und Wechselwirkung ist der Terminus Mehrwert jedenfalls zu simpel und in Bezug zum Reflexionsargument ohne Angriffspunkt.



2 thoughts on “Zur Problematik des Begriffes #Mehrwert”

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