Lernen trotz Corona – oder: die neue Transparenz

Lernen trotz Corona – oder: die neue Transparenz

Als Anbieter der Plattform Lernen trotz Corona (www.lernentrotzcorona.at) erhalten wir eine Vielzahl an Rückmeldungen und Anmerkungen zu unserem Projekt, das freut uns sehr! Damit wird auch das Bild viel klarer, wie Lernen trotz Corona gelingen kann – und wo die Stolpersteine liegen.

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1 Organisation

Mit der kurzfristigen Umstellung auf das Lernen zu Hause wurden wir von einer Situation überrascht, für die wir keine Handbücher parat hatten. Nach ersten Rückmeldungen der Eltern hat sich schnell herausgestellt, dass Organisation und Koordination der Prozesse wesentliche Faktoren waren, um Eltern und Kinder beim Lernen zu Hause nicht zu überfordern. Die Abstimmung der Aufgaben, koordinierte Zeiten bei den Aufgabenstellungen sowie einheitliche Kommunikationskanäle erleichtern die Kommunikation unter allen Beteiligten. Humor und persönliche Ansprache brauchen dabei nicht zu kurz kommen. Eltern nervt berechtigterweise ungemein, wenn über Apps wie Schoolfox o.ä. täglich von frühmorgens bis spätabends unzählige Nachrichten zu Arbeitsaufträgen empfangen werden und weder Aufgaben, Umfang noch Zeiten abgesprochen sind. Mit der Koordination des Ablaufs an der Schule lassen sich viele dieser Probleme beseitigen.

2 Didaktik

Wer Lernen von und für zu Hause organisiert, braucht noch klarere Arbeitsaufträge als im Präsenzunterricht, es braucht Räume zum Austausch und den Aufbau einer persönlichen Ebene, sowohl zwischen Lehrenden und Lernenden als auch der Schüler/innen untereinander. ­Und da ist noch viel mehr, an das man denken kann: https://www.lernentrotzcorona.at/knowledge-base/didaktik/. Unzählige Ausmalbilder sind nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss, hohe Bildausmalkompetenz zählt eher nicht zu den zentralen 21st Century Skills.

Tatsächlich beginnen manche Schulen die Möglichkeiten dieser außergewöhnlichen Situation zu nutzen. Projektübergreifender Unterricht jenseits von 50-Minuten-Blöcken, Portfoliopräsentationen online und in Kleingruppen, die Einbeziehung des neuen Alltags zu Hause – neben ungewohnten Beschränkungen tun sich auch ungewohnte Freiräume auf, die man nutzen kann. Es ist klar: Organisierbarkeit und Didaktik stehen im Vordergrund, nicht aber Links und Content.

3 Technik

Der Zugang zum Internet ist in wenigen Fällen ein Problem. Allerdings: wenn nicht vorhanden, dann ist die Technik ein K.O. Kriterium. In entlegenen Regionen ist weder ein guter Festnetzanschluss noch eine ausreichende Mobilfunkabdeckung gegeben. Und so gibt es Erzählungen von Kindern, die morgens das im Funkloch gelegene elterliche Haus verlassen und auf die nächste Anhöhe hinauf wandern, um ihre Arbeitsaufträge abzuholen, diese dann erledigen, nachmittags wiederum bergwärts gehen, um diese abzuliefern. Von wegen: das Internet macht Bewegungsmuffel. 😉

Eine andere Ursache für die Nichterreichbarkeit ist die finanzielle Situation mancher Familien. Laut der oberösterreichischen Jugend-und-Medien-Studie 2019 besitzen 95 % der Haushalte mit Jugendlichen einen Internetzugang. Entsprechend des bmbwf sind 6,8 % der Schüler/innen nicht erreichbar.

Die Ausstattung mit digitalen Geräten (Smartphone, Tablet, Notebook oder PC) ist meist in hohem Grad gegeben, keineswegs selbstverständlich ist es jedoch, Materialien und Texte zu Hause ausdrucken zu können. Wenn man die uns gemeldeten Zahlen allein auf die Anzahl der österreichischen Pflichtschüler/innen hochrechnet, dann wurden in der Zeit des Lernens zu Hause ca. 24,2 Mill. Seiten zu Hause ausgedruckt oder von der Schule ausgedruckt verteilt.

Auch ist zu beachten, dass manche Familien die technische Ausstattung nicht an erster Stelle für das Lernen einsetzen wollen. Ja, es gibt Schüler/innen, die nicht erreichbar sind, vor allem an Brennpunktschulen. Der Ankauf von Hardware ist grundsätzlich ein guter Schritt, Unterstützungssysteme wie die Schulsozialarbeit und die Aktivierung der persönlichen Netzwerke aber ebenso unbedingt notwendig, um die Kinder zu erreichen. Dass die Beschaffung von 12.000 Notebooks ausschließlich für Bundesschulen gedacht ist, ist aufgrund des Systems der Schulträger vorhersehbar und aufgrund der tatsächlichen Notwendigkeiten einfach grotesk.

4 Neue Transparenz

Das verordnete Lernen zu Hause macht vieles transparent. Zu Recht wird davor gewarnt, dass es zu einer Verstärkung der Bildungsungerechtigkeit kommt. Bildungsungerechtigkeit, die es auch zuvor gegeben hat und gegen die viele Lehrende tagein, tagaus ankämpfen. Transparent wird, dass viele Schüler/innen selbstständig und selbstorganisiert lernen können, andere aber gerade das nicht gelernt haben. Transparent wird, dass viele Lehrende mit Hingebung und Fürsorge für ihre Schüler/innen da sind. Transparent wird, dass unser Schulsystem überreglementiert, verzopft und kaum reformierbar ist (Stichwort: föderaler Bruch, siehe: Lassnigg, Bruneforth & Vogtenhuber, 2016, S. 319). Jedenfalls: das wäre doch ein guter Zeitpunkt evidenzorientierte Bildungspolitik zu forcieren!

Nach Corona wird der Frage nachzugehen sein, ob tatsächlich die technischen Möglichkeiten die Grenzen beim Lernen von zu Hause bestimmt haben, oder ob es nicht auch die Fähigkeiten der Kinder zu selbstbestimmtem und selbstorganisiertem Lernen waren. Nach Corona wird es unser aller Aufgabe sein, einen Paradigmenwechsel in Bezug auf E-Learning und Bildung zu erstreben, denn E-Learning darf und wird nie mehr ausschließlich ein Konzept gegen Krisen sein können. Nach Corona sollten wir auch die Rolle der digitalen Apokalyptiker diskutieren. Das populistische Ziel möglichst hoher Verkaufszahlen für die eigenen Bücher und starke Präsenz in TV-Shows sollte nicht wichtiger und auf die Einstellungen der Lehrenden stärker einwirken als der wissenschaftliche Diskurs.

Live long and prosper!

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Lassnigg, L., Bruneforth, M. & Vogtenhuber, S. (2016). Ein pragmatischer Zugang zu einer Policy-Analyse: Bildungsfinanzierung als Governance-Problem in Österreich (S. 305–351). https://doi.org/10.17888/nbb2015-2-8



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